Allein fühlen, oder allein sein?

Allein fühlen, oder allein sein?

2. März 2020 0 Von JG

Fühlt man sich nur so oder ist man es wirklich? Und woher kommt das Gefühl?

Kennt ihr das Gefühl allein zu sein? Wenn man allein zu Hause ist, abends, tagsüber. Oder aber, wenn man in einer Gruppe ist mit Familie oder Freunden. Mittendrin, aber man hat das Gefühl man ist allein. Umgeben von Menschen, aber doch nur für sich. Im Geschäft, beim Einkaufen, bei Stadtfesten. Hunderte Menschen um dich, aber doch irgendwie nicht… Klar, das sind natürlich zu 99 Prozent Fremde und ein Unterschied zu Familie oder Freunden, Bekannte. Aber ist es nicht komisch, dass man sich doch immer allein vorkommt?

Woher kommt dieses Gefühl? Warum fühlt man sich einsam unter Menschen? Oder warum fühlt man sich allein gelassen, abends im Bett oder tagsüber, wenn keiner da ist? Manchmal sogar wenn jemand da ist. Man ist doch nicht allein. Und man kann sich doch auf seine engsten Mitmenschen verlassen, sich anvertrauen, vertrauen? Wie kommt es dazu?

Wenn ich darüber nachdenke – was ich zur Genüge tue – komme ich immer wieder auf meine Kindheit und Jugend, zum nicht dazu gehören, zum ausgeschlossen werden, zum Mobbing. Zum immer darauf achten, wer was macht, wer wie drauf ist, und schlussendlich zu: Wem kannst du trauen? Leider muss ich hier immer wieder sagen: keinem. Damals zumindest. Meiner Mutter, ja klar. Aber keinem gleichaltrigem Kind, Freundin. Wie auch, wenn man immer wieder verspottet, beschimpft, verarscht, verraten und hintergangen wird? Ich glaube, ich hatte als Kind nicht eine Freundin, der ich immer zu 100 Prozent vertraut habe. Irgendwas hat mich immer blockiert, zurückgehalten. Und wenn, wurde ich enttäuscht. Deshalb kam das auch so gut wie nie vor. Es gab auch in der Schul- und Mobbingzeit niemanden, der zu mir gehalten hat, sich vielleicht sogar vor mich gestellt hätte. Was macht das mit einem Kind? Was wird einem so suggeriert? Nichts Gutes kann ich euch sagen…

Was mir in letzter Zeit auch immer häufiger auffällt, was mich belastet und mich in alte Denkmuster und Verhaltensweisen bringt: Kurze Seitenhiebe, unbedachte Sprüche oder aber auch voll beabsichtigte Anmerkungen die weh tun. Viele denken sich nichts dabei, manchmal rutscht einem etwas raus. Davon kann sich keiner freisprechen. Und: Bei solchen Aussagen oder Sprüchen weiss man auch nie, was sie beim Gegenüber auslösen. Viele wissen nicht, was ich mir schon alles anhören musste und was manche Sprüche in mir auslösen. Das sind teilweise kleine Flashbacks, die mich zurück werfen in alte Situationen, die mich nochmal alle Gefühle erleben lassen. Normale Menschen machen sich über so etwas wahrscheinlich überhaupt keine Gedanken, stecken das weg. Lachen über spitze Bemerkungen. Es interessiert sie nicht wirklich. Ich komme mir dabei sofort mies vor. Und nicht, weil ich überempfindlich bin, ich kann sehr gut über mich lachen, ich bin nicht arrogant. Aber solch kleine Seitenhiebe lassen in mir das Gefühl des Allein-seins aufkommen. Es verstärkt wieder die innere Kämpferin, die immer auf sich selber achten musste. Was bleibt einem auch anderes übrig, wenn man nicht untergehen will? Ich glaube, daher kommt dieses Gefühl auch oft. Und es macht soviel mit einem. Wer einsam ist oder sich allein gelassen fühlt härtet ab, stirbt ein Stück ab innerlich. Man muss lernen allein zu kämpfen… Das widerrum treibt den Teufelskreis voran, oder besser abwärts.

Was auch zu dem Zustand des ewigen Allein-fühlens führt ist Unverständnis. Für mich, meine Situation, Erkrankung, Lebensweg. Man trifft nicht sooft auf Menschen mit ähnlichem Werdegang. Oder man redet nicht sofort über sowas. Ich für meinen Teil schon, aber es ist jetzt kein Stimmungsthema. Akzeptanz wäre ein schöner Anfang. Es ist leider immer noch so, dass Menschen mit psychischen Problemen scheinbar weniger krank sind wie Menschen mit physischen Problemen. Klar, eine kaputte Seele kann man auf Rötgenbildern nicht erkennen. Ein kaputter Rücken oder organische Beschwerden schon. Ich habe immer noch das Gefühl von manchen Leuten nicht ernst genommen zu werden. Sich immer wieder rechtfertigen, erklären, das macht das Ganze schwieriger als es eh schon ist. Ich habe mir diese Scheiße nicht ausgesucht, glaubt mir. Mir wäre es auch viel lieber ein offener, sozialer Mensch zu sein der nirgendwo aneckt und beliebt ist. Aber das bin ich nunmal nicht und das muss ich so akzeptieren. Und es betrifft so viele Menschen. Ihr glaubt gar nicht, wer alles Probleme hat, in Therapie ist, Tabletten schluckt. Wäre nicht Akzeptanz und Offenheit gepaart mit ein wenig ernstgemeintem Interesse die Lösung? Weniger Ablehnung, Verachtung und blöde Sprüche, mehr Respekt und Toleranz…

Ich habe in meinen bisherigen Therapiegesprächen natürlich schon oft gehört. man muss sich seinen Ängsten und Problemen stellen, sie überwinden. Sonst kann man nicht die Erfahrung machen, dass es sich ändert, besser wird, jedesmal ein bisschen mehr. Das klappt auch bestimmt, ohne Frage. Aber gerade dieses Thema ist sehr schwierig für mich. Ich kann es nicht ändern, mein Verhalten, mein Denkmuster, meine Angst. Das passiert auch alles automatisch, es ist wie eingebrannt. Was ich schon geschafft habe ist mehr Gleichgültikgeit zu entwickeln. Wenn ich in neue Gruppen komme versuche ich mir immer zu sagen, dass es egal ist, was die anderen über mich denken. Oder ich versuche mich selbst davon zu überzeugen, dass sie gerade nicht über mich lachen sondern nur über einen Witz der gerade gemacht wurde. Ich versuche es, schaffe es aber nicht wirklich…

Und beim Schreiben merkt man, dass so Vieles zusammenhängt. Woher dieses Gefühl des Allein-seins kommt. Was alles passiert ist, was man mitgemacht hat. Unfreiwillig! Welchen Situationen man ausgesetzt war und was diese mit einem gemacht haben. Woher die sozialen Probleme kommen, warum man sich so verhält, wie man sich eben verhält. Warum man ständig dieses Gefühl hat allein zu sein, egal wann und egal wo oder wie viele Leute um einen herum sind…