Der Alltag mit Depressionen
Selten oben, meist tief unten…
Der Alltag – Montag bis Sonntag, 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Der normale Gang, mit dem üblichen Dingen, Vorhaben, Aufgaben. Termine, die bestritten werden müssen, Aufgaben, die zu Hause anfallen, gewöhnliche wie ungewöhnliche. Der Arbeitsalltag, der zu dem anderen noch hinzu kommt. Alltag eben, mit all dem Stress, Sorgen, Herausforderungen…
Klar, mein persönlicher Alltag unterscheidet sich jetzt maßgeblich von dem vor der Erkrankung. Früher war das Aufstehen, Kind wecken, fertig machen, frühstücken, Sachen packen für beide, ab zur Schule und für mich zur Arbeit. Programm abfahren, Nachmittags nach Hause, kochen, Haushalt, Kind versorgen, Mann kommt auch von der Arbeit, essen, Haushalt, Termine, Besorgungen… irgendwann fertig sein, ab aufs Sofa, TV schauen, unterhalten, Bad, Bett… und am nächsten Morgen geht’s weiter. Für Viele wohl der normale Alltag. Vielleicht in etwas anderer Form, mehr oder weniger Verpflichtungen versteht sich.
Mit der Erkrankung sah das Ganze dann etwas anders aus. Zum Ende hin, kurz vor dem Zusammenbruch, war alles extrem belastend, anstrengend. Heulend im Auto sitzen und nicht wissen, ob man es schafft die 45 Minuten im Auto zur Arbeit. Das sollte dann schon ein Warnsignal sein.
Aber als dann Mitte Januar 2019 gar nichts mehr ging war alles anders. Von da an erkannte ich mich selber nicht wieder. Der Alltag war für mich Stress pur. Alles war Stress pur. Ich wäre am liebsten nur noch im Bett geblieben, grübelnd und weinend. Wenn ich meine Tochter zur Schule hatte war mein erster Weg aufs Sofa. Und ich habe teilweise nochmal 3 Stunden geschlafen. Ein Arzttermin setzte oder setz mich immer noch massiv unter Druck. Auf Termine muss ich mich Tage vorher vorbereiten – wenn ich sie nicht vergesse… Selbst bei der täglichen Hygiene war es mir ein Graus abends den Weg unter die Dusche zu finden (nein, man hat es mir nicht angerochen ;)). Ganz simple Sachen sind super anstrengend. Für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Telefonate – das Schlimmste überhaupt, Anfang des Jahres aber auch jetzt noch. Ich weiß nicht warum, aber es fällt mir unheimlich schwer. Wie schon in der Überschrift erwähnt – ein Auf und wieder ab. Immer und immer wieder…
Dinge organisieren, einkaufen gehen und nix vergessen. Beziehungsweise läuft einkaufen eigentlich völlig teilnahmslos an mir vorbei und ich stehe am Auto, mit vollem Einkaufswagen und denke, ja, nicht so wirklich viel Sinnvolles zum Mittagessen für die nächsten Tage… Ich laufe durch das Geschäft und bekomme nichts auf die Reihe. Ich schaffe es aber auch nicht mir vorab einen Plan oder Zettel zu machen…
Ich bin sehr oft auf Unverständnis gestoßen, oder tue es teilweise immer noch. Oder ich zwinge mich etwas zutun oder überwinde mich, verstelle mich. Das ist noch ein ganz großes Manko bei mir. Anstatt zu Freunden zu sagen: Ne, mir ist heute nicht danach, macht es einfach mal ohne mich oder lasst uns etwas anderes machen verstelle ich mich, zwinge und überwinde mich. Teilweise tut es mir dann auch ganz gut und ich bin froh darüber, aber teilweise sitze ich die Zeit dann ab, bin zwar dabei aber eher abwesend dabei. Es überfordert mich, teilweise ist es mir dann auch zu voll oder es sind zu viele Menschen. Oder es ist laut, in Lokalitäten zum Beispiel.
Ich müsste einfach viel mehr auf mich selber achten, was ich in manchen Situationen schon versuche. Zu Hause, in meinem Umfeld. Ich bin auch davon überzeugt, dass meine Freunde es mir überhaupt nicht übel nehmen würden. Gerade nachdem ich diesen Blog gestartet habe und einige Bekannte sich wirklich Zeit dafür genommen haben und das Thema Depression – meine Depression – ein Thema geworden ist. Ich stehe mir selber im Weg fürchte ich…
Der Alltag mit Depressionen ist eine ständige Herausforderung. Jeden Morgen aufs Neue, schauen was die Regenwolken machen oder der Dämon auf der Schulter. Welche Gedanken heute wieder dominieren. Welche Träume aus der Nacht es wieder auf die Top 3 Liste schaffen. Den Tag überstehen, mit all seinen Herausforderungen und Anforderungen. Teilweise stelle ich mir selber viel zu hohe Anforderungen, teilweise werden sie an mich gestellt. Teilweise könnte man auch einfach NEIN sagen, manchmal geht das aber auch gar nicht so einfach.
Ein Ewiges auf und ab, ich warte immer noch auf die besseren Strecken. Es sind bessere Momente dabei, bessere Tage. Aber sehr kurzweilig. Sie geben mir momentan auch noch wenig Kraft für die schlechten Tage. Ich habe das Gefühl, dass ich die guten Dinge gar nicht wahrnehme, zumindest bewusst. Dabei würde es mir wahrscheinlich super gut tun daraus Energie zu gewinnen für den nächsten Tag… mit dem alltäglichen Wahnsinn…
Depressionen sind fies, ich kenne das auch und verstehe Dich so gut! Ich bekomme es zwar immer noch irgendwie hin, mich aufzuraffen, aber manchmal komme ich mir wie ein Roboter vor, der nur noch funktioniert. Wichtig ist, trotzdem nicht zu sehr ins „Das bringt doch alles nichts“ zu verfallen. Manchmal denke ich, nichts was ich mache hilft, aber dann sage ich mir: Doch, tut es. Mir geht es gerade mies, aber wenn ich nicht auf mich achten würde, mich nicht aufraffen würde, auch wenn ich gar nicht will und es eigentlich auch alles keinen Spaß macht, ginge es mir vermutlich noch viel schlechter. Ich war bisher zwei Mal an dem Punkt, an dem dann wirklich nichts mehr ging und ich mich rausnehmen musste, Derzeit geht es mir im Vergleich okay, die Depression ist nicht so schlimm und ich habe das sozusagen als „Schreckgespenst“, ich sage mir da will ich nie mehr hin, also darf ich mich nicht gehen lassen, solange ich noch Kraft habe.
Schreiben hilft, daher denke ich es ist gut, dass Du darüber bloggst, ganz abgesehen davon, dass ich es ohnehin gut finde, wenn Menschen über Depressionen schreiben, denn es hilft vielleicht auch, ein Stück weit Verständnis zu wecken. Das ist mit ein Grund, warum ich auch manchmal darüber schreibe, vor allem aber, weil es mir hilft, mich aufrecht zu halten.
Ich wünsche Dir, dass Du bald wieder ein wenig mehr Licht sehen kannst, ein kleines bisschen mehr jeden Tag :-).
Ich danke dir für deinen tollen Kommentar!!
Ja, mir geht es gerade echt doof, aber hängen lassen und gar nix mehr tun ist auch keine Lösung. Aber an Tagen wo nix geht, geht halt nix 🙂 Das habe ich für mich erkannt und ich zähle das für mich auch zur Selbfürsorge. Ich hoffe auch, dass ich nie mehr an den Punkt kommen, an dem ich im Januar war. Aber zur Zeit geht’s mir tatsächlich immer noch mies. Aber es bedarf halt einfach Zeit, was sich in über 20 Jahren angestaut hat, ist nicht innerhalb 3 Monaten wieder weg. Ich bin halt Optimist durch und durch 🙂
Das Schreiben hilft mir, ich merke es. Vorallem möchte ich damit auch andere erreichen, da ich immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass das Thema Depression halt nicht alltagstauglich ist, man soll sich nicht so anstellen, das wird schon wieder. Du kennst das wahrscheinlich auch… Wenn ich es schaffe etwas mehr Licht in dieses dunkle Thema zu bekommen bin ich schon weiter 🙂
Ich drücke dir die Daumen, dass du dem Gespenst nie mehr begegnen musst, zumindest nicht in ganz schlimmen Ausmaß!
Alles Liebe für dich!!
Jenn
Hallöchen Jenn,
ich habe wieder mit viel zustimmendem Kopfnicken deinen Beitrag gelesen. Und ich weiß genau, was du meinst. Dieser ständige Trott, der einem gefühlt alles abverlangt. Man fühlt sich ausgelaugt, Man hat auch gar nicht mehr das Gefühl, irgendetwas zu schaffen, sondern stattdessen auf der Stelle zu treten. Man ist unzufrieden mit seiner Situation, mit sich und auch mit anderen. Es zieht einen permanent runter und man möchte sich verkriechen. Ich z. B. fühle mich oft einfach total überfordert und mache Dinge nur noch, weil ich es MUSS. Sie machen mir keinen Spaß und das macht mich total unzufrieden. Ich tue sie nur, um es allen anderen Recht zu machen, und nicht, weil es mir gut tut oder für mein Wohlbefinden was dabei rausspringt… Es ist ermüdend und ich kenne diese Durststrecken, wo man sich einfach hinlegen und mal schlafen will, statt im Haushalt zu rödeln oder was auch immer. Ich für meinen Teil schlafe zum Beispiel auch nicht mehr richtig. Ich hatte schon vor der zweiten depressiven Welle nur einen sehr leichten Schlaf, bin von jedem noch so kleinen Geräusch wach geworden. Aber jetzt ist es noch schlimmer und das bringt mich tagsüber wirklich in diese Tiefs rein, weil mein Körper das nicht mehr schafft. Ich habe regelrecht Angst, abends ins Bett zu gehen, weil ich weiß, was kommt…
Aber im Endeffekt hat sich eigentlich an unserem Alltag nichts geändert. Es sind immer noch die selben Abläufe, die selben Aufgaben wie vorher. Aber sie ziehen uns runter, weil unsere Psyche das alles nicht will. Weil wir überfordert sind mit unseren inneren Dämonen, die immer lauter schreien, je mehr wir versuchen, uns gegen sie zu wehren. Wir kriegen das einfach nicht vereint „innere Anspannung und Alltag“.
Und ich kenne das auch, was du beschreibst, wenn du sagst, dass du manchmal gar keine Lust auf Gesellschaft hast, Treffen absagst, dich in Umgebungen mit größeren Menschenmassen einfach unwohl fühlst. Mir geht es auch so. Ich habe anfangs oft „geschwindelt“, wenn ein Treffen mit einer Freundin anstand und ich mich gar nicht danach gefühlt habe, überhaupt mein Bett zu verlassen. Obwohl das genau der falsche Weg war. Hinterher, als meine Diagnose feststand, habe ich dann reinen Tisch gemacht und habe gemerkt, wie wertvoll es ist, mit Freunden ehrlich zu sein und dass es gar nicht schlimm ist, wenn man offen über die Depressionen spricht.
Ich hatte immer Angst, auf Unverständnis zu stoßen oder dass sich meine Freunde von mir abwenden könnten, weil sie meinen, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe (leider immer noch eine weit verbreitete Meinung, von Menschen, die keine Ahnung haben, was Depressionen sind). Aber es ist genau das Gegenteil eingetreten. Und ich glaube, wir müssen einfach nur viel mutiger werden und offen über diese Krankheit sprechen, dann wird der Alltag auch leichter. Denn wenn unser Umfeld weiß, was mit uns los ist, kann es uns entlasten. Mein Lebensgefährte nimmt mir auch haushaltliche Tätigkeiten ab, weil er weiß, dass es für mich manches Mal echt zu viel ist. Und er nimmt mir das auch nicht krumm, wenn ich mal sage „Du, ich fühle mich heute überhaupt nicht gut. Ich habe das und das heute nicht gemacht/geschafft.“ Das ist völlig okay. Wir dürfen uns nicht selbst so unter Druck setzen. Deshalb habe ich mich zum Beispiel wieder hingesetzt und lese viel, weil das Balsam für meine Seele ist. Der Anfang war schwer, bis letztes Jahr hatte ich eine absolute Leseflaute. Aber dann habe ich das richtige Buch erwischt und lese seitdem täglich. Ich habe für mich einen sehr guten Rhythmus gefunden, dass ich täglich meinen Haushalt bewältige und mir dann Zeit für mich nehme. Zum Lesen, Blog Schreiben, Musik hören, schlafen, whatever… Und ich habe gemerkt, dass mir das gut tut. Du hast geschrieben, dass du auch gern liest, aber das für dich momentan einfach nicht machbar ist, weil du zu viele Gedanken im Kopf hast. Aber ich verspreche dir, wenn der Anfang erstmal gemacht ist mit deiner Therapie, dann kommt das Interesse für diese schönen Dinge, die dir früher Spaß gemacht haben, wieder <3
Fühl dich gedrückt. Ich weiß, wie es dir geht. Sandra
Liebe Sandra,
deine Worte sind ermutigend und beänstigend zu gleich. Beängstigend weil es nicht nur mir so geht und sich scheinbar sehr viel mehr Leute mit diesen Problemen rumschlagen. Ich habe mehrere solcher Feedbacks bekommen. Und weil man es nie von jemanden erfährt, nie jemand darüber redet. Ist das nicht blöd? Das geht mir gerade so durch den Kopf…
Genau diese Überforderung, von der du sprichst, istes auch bei mir. Man will, oder man muss ja funktionieren, obwohl man gar nicht mehr kann. Es muss ja weitergehen. Und bei mir kommt auch ein Schlafdefizit hinzu. Ich nehme Medikamente gegen die Depressionen, anders ginge es gerade gar nicht. Die machen zwar müde, aber irgendwie zur falschen Zeit, oder ich nehme sie zu spät. Noch ein Problem bei mir sind Alpträume, die immer wieder kehren. Schrecklich 🙁
Das mit dem Schwindeln kenne ich auch. Ein vergessener Termin, plötzliche Erkrankung usw. Das habe ich nicht oft gemacht, aber schon mal. Wenn es mir einfach zu viel ist, ich nicht mehr kann. Oder die Treffen einfach aufschieben, weil man in der Woche doch nicht kann. Und ja, wie du schon schreibst, natürlich ist es genau der falsche Weg, man muss unter Menschen (toller Spruch :D) und sich mit anderen Dingen beschäftigen – aber mir fehlt einfach die Kraft. Es ist ein Teufelskreis.
Offen über die Krankheit sprechen ist genau das, was ich jetzt mit meinem Blog angegangen bin. Erst habe ich es ein paar Wochen für mich gemacht, ein paar Beiträge geschrieben, bis ich es öffentlich gemacht habe. Und mir ging richtig die Pumpe als ich auf Senden meines ersten öffentlichen Facebook Postings auf meiner Seite geklickt habe 😉 Aber genau dafür mache ich das, um anderen zu zeigen, ihr seid nicht allein. Ich rede darüber, ihr könnt euch wiederfinden und es beginnt ein Austausch.
Ich habe mir tatsächlich ein neues Buch gekauft und mir fest vorgenommen es anzufangen. Mein Problem dabei ist noch meine Konzentrationsschwäche durch die Krankheit. Ich lese drei Seiten und weiß dann nicht mehr, was auf der ersten stand… etwas ernüchternd und nicht sehr aufbauend. Aber das kommt auch wieder. Habe ich früher auch gelesen. Ich denke, das kommt wieder. Alles zu seiner Zeit.
Fühl dich auch gedrückt und danke nochmal für deinen tollen Beitrag :*
Alles Liebe
Jenn
Hallo Jenni,
Hab mich jetzt durch einige deiner Beiträge gelesen und finde es richtig richtig toll was du hier geschaffen hast.
Ich erkenne mich in vielen Dingen wieder, es hätte tatsächlich ich schreiben können.
Ich finde es super, daß du deine Gedanken teilst und vielleicht auch anderen Menschen hilfst, ihre Krankheit zu erkennen und zu verstehen eventuell auch durch deine Erfahrungen lernen damit umzugehen.
Mach weiter so 👏
Ich drück dich ❤️😘
Hallo Angelia,
vielen Dank für deinen Kommentar, ich freue mich, dass dir mein Blog gefällt 🙂
Ja, das ist mein großes Anliegen, viele Betroffene oder Angehörige, aber auch generell die Menschen für das Thema zu sensibilisieren und das Thema gesellschaftsfähig zu machen.
Ich hoffe, dass es viele erreicht und sie erkennen, dass sie nicht allein sind.
Es haben sich schon einige gemeldet oder mir Rückmeldung gegeben, dass sie ebenfalls betroffen sind. Oder sie das Thema berührt.
Also scheine ich doch das Richtige zu machen 🙂
Fühl dich auch gedrückt!!! <3
Alles Liebe
Jenn