Herzlich Willkommen akut depressive Phase

Herzlich Willkommen akut depressive Phase

13. November 2019 0 Von JG

Wenn man mal wieder in einem grauen Abschnitt gelandet ist – oder ihn nie verlassen hat?

Ich habe diesen Blog gestartet, um auf das Thema Depressionen aufmerksam zu machen und um für mich eine Lösung zu finden, besser mit der Erkrankung um zu gehen. Meiner Meinung nach macht es dann auch Sinn in einer akuten Phase einen neuen Beitrag zu verfassen und sich mit zu teilen. Es ist eine authentische Schilderung meiner Lebensumstände, meiner Probleme, Sorgen und meines Zustands. Deshalb nehme ich euch heute mit auf einen Ausflug in meine derzeitige Gefühlslage, zu meinen Probleme und Herausforderungen.

Eigentlich sollte man meinen, nach fast einem Jahr bewusster Erkrankung, 1 Kurzaufenthalt von 4 Wochen in einer ambulanten Reha und einem 8 wöchigen Aufenthalt in einer medizinisch ambulanten Reha sollte es doch langsam aufwärts gehen. Dachte ich auch, wünsche ich mir so sehnlich herbei, ich warte jeden Tag. Ohne Druck zu machen, aber wann wird es wieder besser? Wann ist nicht mehr alles zum Heulen, wann wird man nicht mehr von 1 Mio Gedanken auf Trapp gehalten, wann hört man auf sein Leben von seiner Vergangenheit bestimmen zu lassen? Wann wird es endlich besser?

Momentan ist alles grau, alles. Klar lacht man, klar gibt es witzige Dinge, schöne Sachen, gute Momente. Wie hat eine Therapeutin in der Reha das mal veranschaulicht: Wenn man wütend ist, ist man sauer, stinkig und zornig. Aber läuft man dann 24 Stunden schreiend und meckernd durch die Gegend? Nein. Wenn man fröhlich ist läuft man auch nicht 24 Stunden strahlend durch die Gegend. Es ist eher eine Grundstimmung, die einem auch vielleicht so schnell keiner streitig macht. Aber trotzdem können andere Stimmungen dazu kommen. Genau so ist es bei der Depression. Die Grundstimmung ist einfach durch weg mies. Aber trotzdem kann man mal lachen, etwas schön finden oder etwas Schönes machen. Aber man wird immer wieder eingeholt, die Gedanken kommen immer wieder, die Traurigkeit kommt wieder, das Grübeln kommt wieder.

Ich merke das zum Beispiel ganz schlimm am fehlenden Antrieb. Ich muss mich zu vielen Dingen regelrecht zwingen. Ich schiebe Dinge vor mich her, ich schaffe viele Sachen nicht zu erledigen. Der Plan, etwas zu machen steht, aber ob ich es schaffe steht auf einem anderen Blatt. In allen Bereichen, Haushalt, Hobbies, soziale Kontakte, Dinge die mir Spaß machen (wie zum Beispiel mein Blog, in dem ich schon länger nichts mehr geschrieben habe), Termine machen oder wahrnehmen… ja, ich bin ehrlich – selbst die Körperhygiene wird zwangsweise ausgeübt. Da ist auch nix mehr mit schön duschen, genießen, alles Pflichtprogramm…

Wenn meine Tochter morgens fertig ist und los geht zur Schule, lege ich mich nochmal ins Bett und schlafe. Heute bis 11 Uhr. Und wenn ich dann um 11 Uhr wach werde bin ich nicht ausgeschlafen. Im Prinzip könnte ich mich dann auch wieder umdrehen und weiter schlafen. Verpflichtungen, das schlechte Gewissen und Termine treiben mich dann irgendwann aus dem Bett. Aber ich könnte immer schlafen.

Zudem bin ich unglaublich genervt und angespannt. Mich nervt jeder Furz. Teilweise nervt es mich, wie Menschen reden. Mein Mann und ich haben vor ein paar Tagen TV geschaut, eine Doku. Dort war eine Frau dabei, die für mich so eine unangenehme Art und Stimme hatte, ich war kurz davor umzuschalten. Das hat mich wahnsinnig gemacht. Mich nerven unhöflich Umgangsformen, die noch nicht mal mich betreffen. Wenn neben mir eine Person zum Bäcker rein kommt, die Dame hinter der Theke freundlich grüßt und der Kunde neben mir nur müde lächelt und ihr seine Bestellung entgegen murmelt – es betrifft mich nicht, aber ich könnte 1.000 Dinge sagen. Kleinigkeiten, unwichtige Dinge, bei denen ich auf die Palme gehen könnte.

Was mir sehr zu schaffen macht und was mir vermehrt bei mir auffällt ist, dass ich immer weniger Gefühle habe. Ich komme mir vor, als hätte ich nur noch Gleichgültigkeit in mir. Und Trauer, wenn die Tränen kommen. Mir fällt es sehr schwer schöne Dinge zu empfinden. Ich versuche mich zu freuen, aber es ist im Prinzip eher eine Platte die abfährt. Natürlich liebe ich meinen Mann, unsere Tochter meine engsten Familienmitglieder und Freunde. Aber ich habe das Positive verloren. Ich war ja vor Kurzem ein paar Tage weg, nur für mich, allein, am Meer. Der Plan war Ruhe, Auszeit, Kraft schöpfen. Ich liebe eigentlich jeden Tag, den ich einfach nur am Meer sitzen kann. Aufs Wasser schauen, Wind um die Ohren, die Weite… Das hat mir bisher immer sehr viel gegeben. Diesmal saß ich auch am Meer, auf einer Bank, bin spazieren gegangen aber es hat mich nicht erfüllt. Ich konnte nichts daraus schöpfen. Keine Kraft. Ich habe tief durch geatmet, versucht alles in mich aufzusaugen damit ich zu Hause davon zehren kann, aber vergebens. Und ich muss zugeben – das hat mich etwas geschockt! Oder tut es immer noch. Und ich verstehe es nicht, so etwas hätte ich noch nie. Das macht mir Angst…

Auf der anderen Seite bin ich extrem verletzlich und angreifbar. Mir fehlt jedes Schutzschild um mich herum. Ich nehme mir jedes Wort, jede Anmerkung zu Herzen. Denke tagelang über Gesagtes nach. Ziehe unbewusst Parallelen zu den Geschehnissen aus meiner Jugend und Kindheit. Und was denke ich dann? Ich bin doch eh allein. Keiner findet Zuspruch für mich, Anerkennung. Aber auch, sei auf der Hut! So angreifbar wie du bist, ein gefundenes Fressen für die, dich verletzen wollen (Ich versichere euch, keiner will es! Nur mein Gehirn malt es sich so aus. Heute würde ich die, die mich angreifen wollen einfach fallen lassen). Natürlich denke ich das nicht in der jeweiligen Situation, aber ich gelte ja als sehr selbstreflektiert *hust. Jetzt wo ich darüber nachdenke, ziehe ich diese Linien.

Jetzt gerade überkommt mich noch ein Blitzgedanke, ein Thema dass mir immer mehr zu schaffen macht: meine Vergesslichkeit und Konzentration! Ich habe schon wieder vergessen, worüber ich vor 5 Minuten noch schreiben wollte. Es macht mich kirre, fertig und verunsichert mich zu all dem anderen Übel.  Ich gehe in einen anderen Raum und habe vergessen, was ich wollte. Ich gehe einkaufen und vergesse die Hälfte. Ich kann mich nicht konzentrieren. Allein dieser Blogeintrag – ich schaffe es seit Montag nicht ihn Korrektur zu lesen. Beim Filme schauen kann ich der Handlung kaum folgen. Jeder Furz unterbricht mich in dem was ich tue. Teilweise fällt mir auf, dass ich vor einer halben Stunde eigentlich etwas ganz anderes angefangen habe, ich aber wieder abgelenkt wurde. Gut gemeinte Ratschläge wie „Schreibe dir Zettel“ „Kleb dir Post It´s auf“ oder „Mach dir Handybenachrichtigungen“ bringen nix – da ich vergesse es zu tun! Ein Teufelskreis… Würde ich mir Klebepunkte an bestimmte Stellen im Haus kleben würde um mich an Dinge zu erinnern würde ich wahrscheinlich vergessen was sie bedeuten.

Bei meiner letzten Gruppentherapie am Montag hat mir meine Therapeutin von der Möglichkeit einer Tagesklinik erzählt. Ich habe jetzt am Montag einen Termin bei ihr um das Ganze mal näher zu beleuchten und zu besprechen. Und so warte ich auf Besserung, Veränderung oder Linderung. Auf ein neues Lebenszeichen meiner Seele… ganz ohne Druck natürlich.