Es schon immer irgendwie hinbekommen

Es schon immer irgendwie hinbekommen

8. September 2019 2 Von JG

Und jedem und allem gerecht werden – außer sich selbst

„Nein, kein Problem, ich mache dann einfach früher Schluss, bekomme ich schon hin für dich!“ oder „Klar, erledige ich alles an meinem freien Tag, schaffe ich schon, kein Ding, hatte eh nix anderes vor“ oder „Klar, kann ich da sein und dir helfen, X, Y und Z mache ich dann ein anderes Mal“ – Standardsprüche aus meinen Bestandfloskeln. Kommt euch das auch bekannt vor? Kann man doch alles machen, oder? Man hilft doch gern wenn andere Fragen? Man verschiebt seine Aufgaben oder Probleme auch gern, ist ja nicht so wichtig. Man wird ja nicht umsonst gefragt, denn man kann das ja auch gut. Und man nimmt doch gerne jedem in seinem näheren Umfeld alles ab, weil die haben es ja auch sehr schwer, sonst würden die sich ja auch nicht alle auf mich verlassen. Ist doch selbstverständlich…

Ist das selbstverständlich? Ist es normal, seine eigenen Aufgaben, Termine, Verpflichtungen – sich selbst immer hinten an zu stellen? Ist es normal, dass immer mit sich machen zu lassen? Warum kann man nicht nein sagen? Ist das unhöflich? Gehört sich das nicht? Warum erkennt man nicht, dass man eigentlich eh schon am Anschlag läuft und ne Pause eigentlich schön wäre? Sich Zeit für sich nehmen, wie jeder andere auch. Seine Grenzen kennen, wissen wann diese übertreten werden. Nicht jede freie Minute, jeden freien Tag schon zu verplanen. Und jeder Tag hat nun mal nur 24 Stunden…

Nein sagen – warum ist das so schwer? Was passiert eigentlich wenn wir nein sagen? Geht die Welt unter? Ist der Fragesteller dann verloren? Gibt es niemanden, der es besser kann als ich? Doch, gang ganz sicher. Das ist auch nicht meine Intention, dass ich das Nonplusultra bin! Wenn ich um etwas gebeten werde, kann ich das mit Sicherheit gut, aber es gibt auch Viele andere die es können. Ist die Person enttäuscht, wenn ich nein sage? Vielleicht, aber auch das ist glaube ich nicht mein Problem. Könnte ich dann nie mehr wieder gefragt werden? Schon möglich, das fände ich schon etwas doof. Es wäre aber auch kein Weltuntergang.

Ich glaube, für mich war es immer Zeit auffüllen. Kein Stillstand, keine Zeit für mich. Auch ein Stück weit sich es nicht wert sein, qualitativ gute Zeit für sich zu haben. Und sich nicht wichtig nehmen, nach dem Motto: Ach, das schaff ich schon, ist doch kein Ding, was ich leiste, da bekomme ich locker noch 27 Torten, 16 Termine und 23 Sonderbesorgungen hin, kein Ding. Dabei habe ich aber schon so sehr viel hinbekommen, das hat nur niemand gewertschätzt, und ich habe es ignoriert, was ich leiste.

In meiner Reha wurde mir durch die Gespräche mit meiner Therapeutin und den Gesprächen in der Gruppe bewusst, was ich eigentlich alles leiste. Und das kann man auch noch aufsplitten auf: Was habe ich seit meiner Kindheit alles immer auf meine Schultern genommen, gemeistert und hinbekommen. Was habe ich in den letzten Jahren alles gepackt, geschafft und geleistet. Und was ist in den letzten Monaten alles geschehen, was ich irgendwo hinstecken musste, wofür ich eigentlich schon lange keine Taschen mehr hatte. Und immer lief nebenbei der Alltag, ich lief auf Anschlag so zu sagen. Aber das muss man sich erst einmal vor Augen führen, realisieren, und nicht immer alles für selbstverständlich nehmen!

Also, eine meiner wichtigsten Aufgaben jetzt ist NEIN zu sagen, Grenzen zu setzen, meine Belastungsgrenze zu erkennen und nicht immer darüber hinweg zu gehen. Aber auch, anderen Grenzen zu setzen, auch dort NEIN zu sagen. Höflich und wohlwollend, manchmal mit Nachdruck, oder auch mit Erklärung, aber nicht immer. Allerdings fällt mir das noch sehr schwer, da mir allein schon die Kraft fehlt um das ansatzweise anzugehen. Und wenn ich es schaffe werde ich noch mit großen Augen angesehen, da man es nicht von mir kennt. Mit mir kann man es ja machen, ich bin doch immer hilfsbereit. Und ich glaube, dass es da in Zukunft zu einigen unangenehmen Situationen kommt, in denen ich mich und meine Grenzen behaupten muss. Für mich, für meine Gesundheit, um zu lernen, mich mehr um meine Bedürfnisse zu kümmern 🙂